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„Es fehlt an Identifikationsfiguren“

20. May 2022

Andreas Pflitsch
Andreas Pflitsch vor Vulkanöffnung © Andreas Pflitsch
Andreas Pflitsch vor Vulkanöffnung © Andreas Pflitsch

Personen der LGBTQIA+-Community haben jetzt am Geographischen Institut konkrete Ansprechpartner:innen, wenn sie sich über ihre spezifische Arbeits- oder Studiensituation austauschen möchten. Prof. Dr. Andreas Pflitsch ist eine dieser Kontaktpersonen und erläutert hier im Interview seine Motivation.

Prof. Pflitsch, Sie haben festgestellt, dass es für Personen der LGBTQIA+-Community immer wieder spezifischen Gesprächsbedarf über ihre Situation an der Uni gibt. Und sie haben sich dafür als Ansprechpartner am Geographischen Institut zur Verfügung gestellt. Was motiviert sie dazu?

Zunächst muss ich feststellen, dass ich als schwuler Mann grundsätzlich nicht die gesamte Community vertreten kann. Für die diverse Community können nur verschiedene Personen mit persönlichem Bezug stehen. Darum wünsche ich mir auch für die einzelnen „Gruppen“ verschiedene Ansprechpartner:innen.  Da ich das Thema aber nun mal aufgebracht habe und sich noch nicht genug Personen gemeldet haben mitzumachen, haben Julia Lippert und ich mich bereit erklärt den Anfang zu machen. Und da wir natürlich niemanden ausschließen wollen, stehen wir zunächst für die gesamte Community.

Grundsätzlich glaube ich aber sollten Sichtbarkeit und Gleichstellung einer offenen LGBTQIA+-Community an einer Universität heutzutage kein Thema mehr sein. Viele Studierende gehen offen mit ihrer sexuellen Orientierung um und sind mehr oder weniger gut sichtbar. Aber, was auch mich überraschte, es gibt immer noch Studierende die das lieber für sich behalten, bestimmten Themen im Gespräch ausweichen und sich „verstecken“.
Das ist natürlich in Ordnung. Jeder Mensch hat das Recht darauf, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, Religion oder die Orientierung nicht öffentlich zu machen. Aber niemand sollte Befürchtungen haben, sich zu zeigen wie und damit auch wer man ist.
Das sollte so auch für die Beschäftigte der RUB gelten. Aber in meinen nun über 30 Jahren an der RUB als wissenschaftlicher Mitarbeiter und als apl. Professor habe ich nicht einmal einen schwulen Kollegen oder Mitarbeiter kennengelernt. Rein statistisch gesehen kann das eigentlich nicht sein, dass außer mir niemand schwul war oder ist. Man(n) spricht eben nicht darüber, selbst heute nicht. Ich selber schließe mich da ein und habe mich aber auch nicht gezeigt und darüber gesprochen.

Sollte man denn an einer Universität darüber sprechen? Gehört das denn hier hin?

Ja, denn die RUB ist ein großer sozialer Raum an dem wir viel Zeit verbringen. Was mir an der RUB als schwuler Mann gefehlt hat, sind Gesichter und Identifikationsfiguren. Gerade nach meinem „Coming out“ aber selbst heute, hätte ich es sehr begrüßt von einem ebenfalls schwulen Kollegen zu wissen und mich nicht als „Alien“ zu fühlen.

Grundsätzlich ist die sexuelle Orientierung am Arbeitsplatz erst einmal nicht wichtig. Weder für die Lehre, noch für die Forschung. Das ist Privatsache. So kann man das sehen, so wurde es vorgelebt und so habe auch ich das lange Zeit gesehen und mich entsprechend verhalten.
So habe ich es als ganz normal mitbekommen, dass Kolleg:innen heiraten, Kinder bekommen, sich scheiden lassen. Hierüber wird offen geredet. Nie jedoch habe ich gehört, dass es zum Beispiel eine Schwulenhochzeit gab oder Kinder adoptiert wurden. Darüber wird eben nicht gesprochen.
Auch ich selber habe lange tunlichst vermieden, viel von mir preiszugeben, meine Kinder ausgenommen. Ob man das Vermeiden oder Verstecken nennt, kann jede:r selber entscheiden.
Gegenüber den Studierenden bin ich da mittlerweile offener. Bei den von mir geleiteten Hawaii-Exkursionen kocht mein Freund oder ist für die „Kunst“ zuständig und wir beide machen kein Geheimnis aus unserer Beziehung.
Unter Kolleg:innen jedoch? Ja... aber nur sehr selektiv. Ich hatte mich über all die Jahre daran gewöhnt, das Thema einfach zu vermeiden. Aus anfänglicher Angst ist mit der Zeit Gewöhnung und Bequemlichkeit geworden.
Aber jetzt, 33 Jahre nach meinem persönlichen „Coming out“, habe ich mitbekommen, dass es immer noch Studierende gibt, die eben nicht offen mit ihrer sexuellen Orientierung umgehen, das Thema entweder vermeiden und/oder sich verstecken. Das hat mich zunächst überrascht und dann auch erschreckt. Ich hatte angenommen, dass die heutigen Studierendengenerationen offener mit dem Thema umgehen. Alleine schon, weil sie es dürfen.

Gibt es denn an der Ruhr-Uni nicht schon Initiativen, die sich um das Thema bemühen?

Ich kann natürlich nicht für alle Fakultäten oder Institute sprechen. Aber mir ist mit Erstaunen aufgefallen, dass es zwar Forschung zur LGBTQIA+-Community an der RUB und natürlich das sogenannte Schwulenreferat oder das Frauenlesbenreferat gibt, ansonsten sind wir jedoch auf der RUB-Webseite nicht wirklich sichtbar. Wir haben kein Gesicht, respektive gibt es offiziell keine Gesichter an der RUB, die die Community repräsentieren. Eigentlich existieren wir nicht. Selbst auf der brandaktuellen Webseite der RUB zu „DIVERSITY“ bleiben wir gesichtslos. Schaut man unter „Queer an der RUB“, bieten sich Infos zu Projekten und sogar eine Möglichkeit sich zu treffen. Doch schon die Formulierung:
„Die Treffen der Gruppe LGBTIQ* ‚Queer an der RUB – für alle RUB-Angehörigen‘  finden in einem geschützten und wertschätzenden Raum statt.“, zeigt, das hier irgendetwas alles andere als „normal“ ist.  Natürlich ist es gut, dass es diesen Raum gibt und Studierende wie Bedienstete der RUB diese Möglichkeit haben. Das sollte auch erhalten bleiben. Diese Formulierung zeigt mir aber auch, dass in der Gesellschafft immer noch etwas nicht stimmt. Wir müssen immer noch geschützt werden? Also scheint ja doch nicht alles so einfach und normal zu sein. Deshalb brauchen wir Vorbilder und Identifikationsfiguren oder einfach nur eine Person die auf demselben Flur, derselben Etage oder im Gebäude sitzt.

Was möchten Sie mit dem „Sichtbarmachen“ der Community erreichen?

Es soll deutlich werden, dass es sehr wahrscheinlich in allen Bereichen der Uni LGBTQIA+-Personen gibt – im technischen und IT-Bereich, in den Sekretariaten, unter den wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen, Rät:innen und Professor:innen. Erst unsere Sichtbarkeit zeigt den noch unsicheren Studierenden und Bediensteten, dass sie nicht alleine sind. Die LGBTQIA+-Community existiert nicht nur in der Kunst oder der Politik, sondern auch an der RUB.
Als Wissenschaftler habe ich das Problem identifiziert, der nächste Schritt ist nun etwas zu ändern. Also zeige ich als schwuler Mann mein Gesicht in der Professorenschaft und würde mich freuen, wenn andere Bedienstete aus allen Bereichen nachziehen würden.
Durch die bisherige Initiative haben sich auch schon andere Personen gefunden, die auch zur LGBTQIA+Comunity gehören. Wir möchten aber nicht nur einfach sichtbar sein, sondern Studierenden und Mitarbeiter:innen vor allem die Gelegenheit geben, Probleme und/oder Ängste im Uni-Alltag zu identifizieren und sich über die Situation in Arbeit und Studium auszutauschen. Die Bildung eines Netzwerkes wäre vielleicht ebenfalls hilfreich.
 

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