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Wunschbilder vom Raum

13. November 2017

In seiner 1933 veröffentlichten Dissertation präsentierte Walter Christaller sein Modell der zentralen Orte, das Generationen von Studierenden der Geographie und Raumplanung vermittelt bekommen. Sein Modell leitet unter restriktiven Annahmen die effiziente Versorgung eines Raumes mit einer möglichst geringen Zahl von Standorten ab. Trotz der Popularität des Modells werden dessen Logik, Erklärungsgehalt und empirische Validität selten kritisch überprüft oder in den historischen Kontext seiner Entstehung und doppelten „Karriere“ in der Raumplanung des Dritten Reichs und der Bundesrepublik Deutschland eingebettet. Diese Lücke füllte der an der Hochschule München lehrende Historiker, Stadtplaner und Architekt Prof. Karl Kegler in seiner 2015 veröffentlichten Dissertationsschrift (vgl. https://www.schoeningh.de/katalog/titel/978-3-506-77849-9.html).

Im zweiten Vortrag des Institutskolloquiums am 08. November 2017 berichtete Prof. Kegler über die von „Multi-Funktionär“ Prof. Dr. Konrad Meyer vorangetriebene Institutionalisierung der Raumplanung im Dritten Reich und die Rolle des Zentrale-Orte-Modells bei der Expansion des nationalsozialistischen Deutschlands im Zweiten Weltkrieg. Für die „Ostgebiete“ hatte Christaller auf Basis seines Modells einen Besiedlungsplan entwickelt sowie in seinem detaillierten „Bevölkerungsverteilungsplan Altreich“ eine Umsiedlung von gut 23 Millionen Einwohnern binnen 30 Jahren vorgesehen. Im Zuge dieser Binnenkolonisation wären allein aus Bochum 40.000 Einwohner umzusiedeln gewesen.
In seinen abschließenden Thesen wandte sich Prof. Kegler gegen normative Wissenschaft, forderte die empirische Überprüfung von Modellen ein und postulierte die Polarisierungstendenz von Zentrensystemen. Dem Vortrag folgte eine lebhafte Diskussion, in der es unter anderem ganz grundsätzlich um die Rolle und das Verständnis der Wissenschaft ging. Der nächste Kolloquiumsvortrag findet am 29. November 2017 von 16-18 Uhr c.t. in HZO 100 statt. Darin nimmt Prof. Dr. Hans Gebhardt (Universität Heidelberg) den nächsten Deutschen Kongress für Geographie 2019 in Kiel zum Anlass, die Entwicklungen und Perspektiven der Humangeographie seit dem einflussreichen Kieler Geographentag von 1969 zu diskutieren und einer kritischen Bewertung zu unterziehen. Dort hatte eine studentische Initiative eine Umorientierung der traditionellen Geographie in Deutschland angestoßen.

Prof. Dr. Matthias Kiese

Diese Meldung wurde aus dem Archiv der bis Oktober 2022 aktiven Instituts-Homepage importiert. Bilder, Formatierungen und Links sind ggf. inkorrekt oder fehlen.


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Autor:
Kiese